LGBT-Rechte im Südkaukasus

Gegendemonstranten: Ultraorthodoxe Gruppen auf der LGBTI-Demo am 17. Mai 2013 in Tiflis, Georgien
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Gegendemonstranten: Ultraorthodoxe Gruppen auf der LGBTI-Demo am 17. Mai 2013 in Tiflis, Georgien
Kriege, Staatsversagen, soziale und ökonomische Probleme - mehr als ein Jahrzehnt lang nach dem Ende der Sowjetunion waren die drei Südkaukasus-Staaten Armenien, Georgien und Aserbaidschan mit existenziellen Herausforderungen befasst. Nach der Konsolidierung der staatlichen Strukturen, dem zumindest übergangsweisen Einfrieren der territorialen Konflikte und einer Annäherung an Westeuropa rückten auch die Rechte sexueller Minderheiten in Fokus. So wurde zu Beginn der 2000-er-Jahre im Zuge der Aufnahme in den Europarat in allen drei Ländern ein Anfang gemacht mit der Entkriminalisierung der Homosexualität. Doch noch immer sind alle die drei Ex-Sowjetrepubliken weit davon entfernt, der Diskriminierung ein Ende zu bereiten. Lediglich in Georgien verbieten zwei Gesetzesparagrafen, die gegen Diskriminierung gerichtet sind. An eine Anerkennung von LGBT-Partnerschaften oder gar Gleichstellung mit heterosexuellen Paaren ist in den Ländern der Region derzeit nicht zu denken.

Unter der Abkürzung LGBT werden sexuelle Minderheiten zusammengefasst: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Personen. Trans gilt dabei als Oberbegriff für mehrere Gruppen: Transgender für Personen, die die klare Unterteilung Frau/Mann in Frage stellen; transidente, Personen, die sich mit dem Gegengeschlecht des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts identifizieren, aber keine Geschlechtsumwandlung per medizinischem Eingriff und Medikation wollen; und schließlich Transsexuelle, die ihr Geschlecht ändern lassen, um in dem von ihnen als richtig wahrgenommenen Geschlecht leben zu können.

Wer sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen will, wird in allen drei Ländern konfrontiert mit erzkonservativen Vorstellungen und tiefsitzenden Ressentiments gegenüber allem, was die traditionellen Gesellschafts- und Familienstrukturen in Frage stellen oder aufbrechen könnte. Das schwach ausgeprägte Verständnis für demokratische Werte und Minderheitenrechte ist nicht allein ein Erbe der Sowjetunion. Hinzu kommt die Erfahrung der Bedrohung von Kultur, Sprache und Religion während der Fremdherrschaft in den Jahrhunderten zuvor. Noch sehr lebendig im Bewusstsein der Menschen sind die Kriege um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien in Georgien und um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan.

In der Wahrnehmung der ohnehin patriarchalisch geprägten Gesellschaften spielt die Wehrhaftigkeit gegen äußere Feinde eine enorme Rolle. Wichtig sind männliche Eigenschaften wie Stärke und Mut. Frauen müssen diesem Verständnis nach geschützt werden und dürfen deshalb kaum in der Öffentlichkeit auffallen. Auch wird es als grundlegend angesehen,  das Überleben der Familien und des Volkes in nachfolgenden Generationen zu sichern. Homosexuelle Frauen und Männer zum Beispiel werden in den meisten Familien als Schande gesehen, auch weil sie nach Meinung ihrer Verwandten das Fortbestehen der Familien und die Einbindung in das gesellschaftliche Umfeld gefährden. So erfahren LGBT-Personen Gewalt oft zuerst unter den eigenen Verwandten. Dies kann mit Todesdrohungen verbunden sein.

Schwule oder transsexuelle Männer werden zudem in der Gesellschaft als Gefahr für die Wehrhaftigkeit der Armee angesehen. Aus Unwissen heraus gibt es die Angst, dass junge Menschen mit Homosexualität angesteckt oder dazu verführt werden und damit die Gesellschaft aus dem Inneren heraus zerstört wird. Homosexualität wird deshalb häufig als negatives Beispiel für den Import westlicher Werte genannt von jenen, die sich gegen Demokratisierung und den Schutz von Menschenrechten wenden.

Da die territorialen Konflikte weiterhin nicht gelöst sind, bleibt in allen drei Ländern das Gefühl vorhanden, das Volk müsse wehrhaft sein. Die Regierungen der drei Staaten wussten die Ängste vor äußeren Bedrohungen in den vergangenen Jahren für eine Stärkung der Macht im Inland zu schüren, Armenien und Aserbaidschan noch stärker als Georgien.

Die stärkste Unterstützung genießen LGBT-Personen in rechtlicher Hinsicht noch in Georgien, dessen demokratische Entwicklung zugleich am weitesten fortgeschritten ist. Dort gingen in diesem Jahr erstmals Aktivisten auf die Straße, um offen für LGBT-Rechte zu demonstrieren. Dies kann als Fortschritt gewertet werden, auch wenn es Angriffe ultra-orthodoxer Christen auf die Aktivisten gab und die Polizei zunächst nur zögerlich einschritt.

In Aserbaidschan wagt sich bisher niemand, für LGBT-Rechte auf die Straße zu gehen. Aber die Regierung unterstützt eine Organisation, die sich um gesundheitliche Prävention sexueller Minderheiten kümmert. Zudem gibt es aufgrund der orientalisch geprägten Kultur in Aserbaidschan einige wenige berufliche und gesellschaftliche Nischen, in denen sexuelle Minderheiten wie Schwule und Transsexuelle akzeptiert sind. Auch sind körperliche Kontakte wie Umarmungen oder Arm in Arm gehen zwischen Männern und auch zwischen Frauen in der Öffentlichkeit durchaus üblich - solange sie als Symbol für enge Freundschaft, nicht aber für Zuneigung zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern angesehen werden kann. Homosexualität wird in der Öffentlichkeit thematisiert, wenn auch fast ausschließlich mit der Absicht, missliebige Personen zu diskreditieren.

Am schwierigsten ist sicherlich die Situation für LGBT-Personen in Armenien. Das Land ist politisch und historisch bedingt stark isoliert und die fast ausschließlich aus Armeniern bestehende Gesellschaft sehr verschlossen. Sogar Diaspora-Armeniern wurde in den vergangenen Jahren eine Aufnahme in die Gesellschaft schwer gemacht. So gibt es praktisch in allen Bereichen der Gesellschaft eine Ablehnung jeglicher Akzeptanz von LGBT-Rechten.

Ein "Marsch der Vielfalt" im Frühjahr 2012, der nicht einmal LGBT-Rechte zum Inhalt hatte, musste trotz Polizeischutz abgebrochen werden. Einen Angriff auf eine als gay-friendly bekannte Bar begrüßten zahlreiche Politiker. Auch finanziell und politisch einflussreiche Kreise innerhalb der armenischen Diaspora sind sehr konservativ geprägt und pflegen überkommene Vorstellungen von der Heimat ihrer Familien. Nur wenige Aktivisten haben den Mut und die Energie, sich weiter für LGBT-Rechte in Armenien einzusetzen. Bis zu zehn LGBT-Personen und -Aktivisten verließen nach den Ereignissen im Frühjahr das Land. Einige Aktivisten vermuten, dass die Regierung die stark ausgeprägten Ressentiments gegen LGBT-Personen während des beginnenden Wahlkampfs vor der Abstimmung über die Präsidentschaft im Jahr 2013 für sich nutzen will.

Angesichts der fest verankerten Vorurteile gegen LGBT-Personen sowie aufgrund großer politischer und sozialer Probleme ist es wenig wahrscheinlich, dass sich die Lage in Georgien, Armenien und in Aserbaidschan in nächster Zeit grundlegend ändern wird.

Ebenso wie in Armenien findet in Aserbaidschan 2013 eine Präsidentschaftswahl statt. Es ist zu erwarten, dass die Regierung wie bei den vergangenen Wahlen auch versuchen wird, die Lage in der gesamten Gesellschaft unter Kontrolle zu halten und jegliche regierungskritischen Aktivitäten zu unterbinden. Selbst wenn es innerhalb der Führung um Präsident Ilham Alijew einen Generationenwechsel geben oder tatsächlich einmal eine oppositionelle Kraft gewinnen sollte, so ist mit einiger Sicherheit kein Schutz vor Diskriminierung von LGBT-Personen zu erwarten. Auch die junge Generation in der Staatsführung und in der Opposition ist eher konservativ geprägt.

Ähnliches ist im Hinblick auf Armenien zu sagen. Die tiefsitzenden Ängste und Vorbehalte gegen LGBT-Personen in der Bevölkerung können wohl nur langfristig durch Aufklärung zunächst unter Journalisten, Politikern sowie Menschenrechtsaktivisten und später auch in der Bevölkerung abgebaut werden. Doch ist es wahrscheinlich, dass im Gegenteil weiterhin Ressentiments gegen Minderheiten als Mittel zur Machterhaltung genutzt werden.

Am größten erscheint die Möglichkeit für die Durchsetzung von LGBT-Rechten in Georgien. Dort ist nicht nur die demokratische Entwicklung am weitesten vorangeschritten. Es gibt auch eine recht aktive Szene und eine junge Generation vor allem unter den Studenten, die sich für Gerechtigkeit in der Gesellschaft einsetzen. Auch die neue Regierung unter Premierminister Bidsina Iwanischwili hat sich zur weiteren Annäherung an Westeuropa verpflichtet. Weitere gesetzliche Maßnahmen zum Schutz von LGBT-Personen könnten ein entsprechendes Signal setzen. Die neue Opposition um den noch amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili könnte im Parlament auch in Bezug auf Minderheitenrechte Druck ausüben, um ihre westliche und demokratische Orientierung unter Beweis zu stellen.

Zur Autorin

Silvia Stöber ist als freie Journalistin seit mehr als fünf Jahren auf den Südkaukasus spezialisiert. Sie schreibt regelmäßig für verschiedene Publikationen wie die Neue Zürcher Zeitung, den Tagesspiegel, Zeit Online, tagesschau.de und andere Medien. Sie ist regelmäßig in allen drei Ländern unterwegs. Für das Dossier über LGBT-Rechte interviewte sie Aktivisten, Betroffene, Politiker und weitere Personen. Nicht alle sind mit Zitaten oder Namen aufgeführt, dies teils auch zum Schutz der Personen.