Die Heinrich-Böll-Stiftung hilft den Menschen bei der Schaffung eines „Öffentlichen Gutes“

„Die Heinrich-Böll-Stiftung hilft den Menschen bei der Schaffung eines „Öffentlichen Gutes“

"Liberali" 6 Juni, 2013

Interview mit Nino Lejava, der Leiterin des Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung im Südlichen Kaukasus aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des Büros in Tbilissi, Georgien

Das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Georgien ist 10 Jahre alt geworden. Warum trägt Ihre Stiftung den Namen des Nobelpreisträgers Heinrich Böll?

Der georgische Leser hatte  schon in sowjetischen Zeiten das Glück, sich mit Werken vom deutschen Dichter und Denker Heinrich Böll in georgischsprachigen Übersetzungen bekannt zu machen. Das waren seinerzeit unmittelbare Übersetzungen vom Deutschen ins Georgische und nicht Übersetzungen aus russischen Zwischenversionen,  was damals eine verbreitete Praxis in der Sowjetunion gewesen war.

Heinrich Böll war hier daher als Schriftsteller  bekannt, aber Heinrich Böll als einen Intellektuellen und Bürger kennt man verhältnismäßig weniger. Heinrich Böll gehört zu der Generation, die im Zweiten Weltkrieg gezwungen war, im Militärdienst des Nationalsozialistischen Deutschlands zu stehen. Vielen Vertretern dieser Generation waren die katastrophalen Ergebnisse des Nazi-Regimes bewusst. Und obwohl diese Menschen nur kleine Schrauben dieses großen und brutalen Systems waren, fühlten Sie sich dafür mit verantwortlich und hatten das Bedürfnis, der deutschen Gesellschaft zu erläutern, was in der Wirklichkeit passiert ist.

Heinrich Böll wurde 1917 in Köln geboren.  Als gläubiger Christ kritisierte er jedoch die Katholische Kirche für die Rolle, die sie in Nationalsozialistischer Zeit gespielt hat. Heinrich Böll hat viele Werke diesem Thema gewidmet. Heinrich Böll war ein Mitglied der „Gruppe 47“, die eine Erneuerung der Deutschen Literatur nach dem 2. Weltkrieg zum Ziel hatte. 

Heinrich Böll  setzte sich für die Menschenrechte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Osteuropa und in der Sowjetunion ein, er war ein Verbündeter und Freund von vielen sowjetischen Dissidenten sowohl in Russland, als auch in Georgien.

So einen großen Umweg mache ich, um zu erläutern, warum die deutsche Grüne Politische Stiftung nach Heinrich Böll heißt. In Deutschland werden die politischen Stiftungen  vom Staat, das heißt von den deutschen Steuerzahlern, finanziert – in Europa ist das ein einzigartiges System. Die deutschen Politischen Stiftungen werden auf Bundesebene entsprechend der Ideologien der bestehenden politischen Parteien gefördert. Sie sind von den politischen Parteien unabhängig, jedoch teilen sie die für Wähler dieser oder jener Partei relevante Ideologie.

Die Heinrich-Böll-Stiftung gibt es seit 1987, also schon seit 26 Jahren. Sie hat 29 Filialen in und außerhalb von Deutschland in Europa, Lateinamerika, Afrika und Asien. Büros in Berlin, Washington und Brüssel koordinieren die Arbeit der Stiftung.

Ursprünglich wurden solche Stiftungen mit dem Ziel der politischen Bildung der Wähler geschaffen, weil die Deutschen glaubten, dass nur ein gebildeter Bürger in der Lage ist, eine informierte und verantwortungsbewusste politische Wahl zu treffen. Innerhalb des Landes arbeiten diese Stiftungen heute noch an der Vervollkommnung der politischen Bildung und Erweiterung des Denkhorizonts der Wähler.

Bündnis 90/Die Grünen ist für die Deutschen eine verhältnismäßig junge politische Partei – z. B. hat in Deutschland die Sozialdemokratie eine 150-jährige Tradition. Die Grünen wurden aus einer sozialen Bewegung geschaffen, die in Europa in 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden ist. Besonders aktiv waren die Umwelt-, Frauen-, Friedens- und Antiatombewegungen, sowie die der Verteidiger der Minderheiten- und allgemeinen Menschenrechte. Gerade aufgrund der damaligen vielfältigen sozialen Bewegungen ist die Partei der Grünen gegründet  worden,  sie ist seit den 1980er Jahren auch im Deutschen Parlament (Bundestag) vertreten. Heutzutage sind die Grünen in Deutschland eine solide politische Partei, die nicht nur im Bundestag, sondern auch auf Ebene der Bundesländer in Regierungskoalitionen vertreten ist.

In Tbilissi funktioniert das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung im Südlichen Kaukasus. Wissen Sie, warum die Entscheidung seinerzeit zugunsten Tbilissi gefallen ist?

Wie Sie wissen, hat die HBS – obwohl wir das Südkaukasische Büro sind -  Mitarbeiter und ihr Office nur in Tbilissi. In Jerewan und Baku wird die Arbeit durch ein Partnernetz geleistet. Das war eine äußerst pragmatische Entscheidung: Aserbaidschan und Armenien haben feindliche Beziehungen zueinander, Georgien ist für beide Länder ein neutrales Territorium. Darüber hinaus ist zu betonen, dass die Heinrich-Böll-Stiftung schon in den 1990er Jahren, noch vor der Eröffnung des Büros hier in Tbilissi, im „Kaukasischen Haus“ einen Partner hatte.

Wodurch unterscheidet sich das Tbilisser Büro der Heinrich-Böll-Stiftung von anderen Büros?

Zweimal im Jahr treffen sich die Leiter und Leiterinnen aller Büros der Heinrich-Böll-Stiftung auf einer internen Konferenz in Berlin. Während dieses Treffens wird es deutlich, wie ähnlich und gleichzeitig, wie verschieden wir unter verschiedenen Bedingungen und in unterschiedlichen politischen und kulturellen Kontexten arbeiten müssen. Doch kann man sagen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stiftung Idealisten sind, die gleiche Werte haben. Sie sehen ihre Arbeit nicht als Job, sondern sie leben und arbeiten für eine Weltanschauung.

Das Büro Tbilissi hat einen großen Vorteil. Heinrich Böll war zweimal in Georgien: in den Jahren 1966 und 1972. Böll war hier nicht als ein Tourist, er hatte in Georgien Gesinnungsgenossen und Kollegen: Nodar und Surab Kakabadze, Nelly Amaschukeli, Reso Karalaschvili. Es gelang ihnen trotz des Eisernen Vorhangs die freundschaftlichen Beziehungen mit Heinrich Böll zu pflegen. Das ist ein zusätzlicher kultureller Kontext, in dem wir arbeiten. Vor 10 Jahren, als wir eine Ausstellung vorbereiteten, die dem Leben und Werk von Heinrich Böll gewidmet war,  hatte ich Zugang zu privaten Archiven von Reso Karalaschvili und Nodar Kakabadze. Ich hatte ihren Briefwechsel und die von Heinrich Böll geschickten Bücher gesehen, die monatelang in der Akademie der Wissenschaften aufbewahrt wurden und erst nach einem großen Kampf die Adressaten erreichten. All das weist darauf hin, dass in Georgien in den 1960er bis 1980er Jahren ein absolut adäquater Kreis der europäischen humanistischen Kultur existierte. Für unsere Stiftung ist diese Grundlage und ein Anreiz zur Erweiterung dieses Kreises.

Wie erweitern sie diesen Kreis?

Obwohl die Heinrich-Böll-Stiftung eine international agierende Agentur ist, ist sie kein typischer Geber und arbeitet weder in Georgien noch sonst irgendwo so, wie es die meisten Geber tun. Personen und Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten und die wir fördern, nehmen wir als unsere Partner und Partnerinnen wahr. In Georgien und generell in allen postsowjetischen Ländern werden gewisse Verschwörungstheorien gepflegt, als ob die ausländischen  Organisationen für die örtliche Gesellschaft fremde Ideen und Werte fördern bzw. finanzieren würden. Das stimmt natürlich nicht. Vor der Initiierung jedes neuen Programms oder Projekts  versuchen wir, gemeinsam mit lokalen Partnern festzustellen, wie wichtig es ist, sich mit dem jeweiligen konkreten Thema in Georgien, Aserbaidschan und Armenien auseinanderzusetzen.

Das Regionalbüro Südkaukasus hat im Moment drei laufende Programme: Diese Programme unterliegen einem regulären  Wandel mit dem Zweck, sie den aktuellen, konkreten politischen und kulturellen Herausforderungen adäquat anzupassen.  Das erste Programm  zielt auf eine Förderung der demokratischen politischen Kultur; das zweite - auf friedliche Konflikttransformation  und das dritte Programm will den Dialog zwischen Europa und dem Südkaukasus fördern. Ferner haben wir ein Stipendienprogramm für junge Forscher und Forscherinnen, wir arbeiten an Fragen der Geschlechtergleichheit und an einer ökologischen Bildung,  und wir versuchen schließlich, auch die sowjetische Vergangenheit zu erforschen und aufzuarbeiten.

Im Rahmen des politischen Kulturprogramms finden Debatten statt, die – das kann man schon sagen -  zu einer Visitenkarte der Heinrich-Böll-Stiftung geworden sind. Auf unserer Jubiläumskonferenz hat der Parlamentspräsident David Usupashvili in seinem Begrüßungswort insbesondere die Bedeutung dieser Diskussionsplattform für eine  pluralistische Politische Kultur in Georgien betont. Das ist für uns sehr erfreulich und ein Zeichen dafür, dass unsere Arbeit wichtig ist.

 Seit wie viel Jahren führen Sie öffentliche Debatten?

Diese Debatten haben schon eine 9-jährige Geschichte. Diskussionen haben wir erstmals im Februar 2004 initiiert, als es nach der Rosenrevolution deutlich geworden war, dass eine Periode der großen Wandlungen begann, mehrere Reformen waren im Gang. Damals haben wir eindeutig gesehen, dass wir einen Diskussionsraum brauchten, der den georgischen Bürgern und Bürgerinnen eine Gelegenheit geben würde, über alle für sie interessante Fragen qualifiziert zu diskutieren. Ich kann mich gut erinnern, dass das Thema der ersten Diskussion die Situation der georgischen Massenmedien gewesen war. Als Referentinnen waren Natia Sambachidze, damalige Journalistin des Fernsehsenders „Rustavi 2“ und Ia Antadze eingeladen, die schon damals bei „Radio Liberty“ arbeitete.

Für die Heinrich-Böll-Stiftung ist die Etablierung einer qualifizierten demokratischen Diskussionskultur äußerst wichtig. Während der Debatten erfolgt nicht nur ein Meinungsaustausch, die Teilnehmer lernen vielmehr auch, anderen zuzuhören und andere Meinungen zu respektieren bzw. zu akzeptieren, was Grundlage einer demokratischen politischen Kultur ist

Was denken Sie, hat sich etwas in der Diskussionskultur während dieser neun Jahre geändert?

Es ist nicht einfach, diese Frage so eindeutig zu beantworten. Eines ist nicht zu übersehen: es erfolgte ein Generationenwechsel und ich kann ganz stolz sagen, dass Studentinnen und Studenten, die einst ganz still saßen und in Notizblöcken die inhaltlichen Schwerpunkte der Diskussionen notierten, heute nicht nur an den Debatten der Heinrich-Böll-Stiftung als Referenten teilnehmen, sondern selbst der georgischen Politik und Gesellschaft Diskussionsthemen bieten. Z. B. die Journalistin Olesja Vartanian, der Jurist Vachuschti Menabde, oder der Direktor des Kaukasischen Hauses, Giorgi Kanaschvili… Wir haben keine Illusionen, dass die in der Heinrich-Böll-Stiftung zweimal im Monat stattfindenden Diskussionen in der Lage sind, etwas grundlegend zu verändern, aber Tatsache ist, dass  Teilnehmer an unseren Diskussionen  nicht unverändert geblieben sind.

Die Heinrich-Böll-Stiftung war ein öffentlicher Raum, wo über Homophobie und Probleme der sexuellen Minderheiten in Georgien zum ersten Mal offen debattiert wurde. Seit dem 17. Mai steht dieses Thema sehr aktuell vor unserer Gesellschaft. Wie ich dem Programm der Heinrich-Böll-Stiftung entnehmen konnte, fanden neulich Debatten zu diesem Thema in Batumi und Kutaissi statt. Wieweit diktiert Ihnen der soziale Kontext die Thematik der öffentlichen Debatten?

Natürlich bestimmt der allgemeine politische Hintergrund unsere Arbeitspläne, aber wir lassen uns nicht von Ereignissen einer Woche leiten und bieten weder Themen noch Format einer Talkshow an. Unsere Themen werden mit  einer langfristigen Perspektive geplant. Es gibt Themen, die für die Gesellschaft sehr wichtig sind, dies wurde besonders seit 2006 aktuell, als für die Bürger kein freier Diskussionsraum mehr vorhanden war. Aber es gibt weitere Themen, die wir der Gesellschaft anbieten, um einen Anreiz zu geben. Jahrelang war ein solches Thema nicht nur Homophobie, worüber nicht nur in Georgien, sondern in vielen Entwicklungsländern nicht offen gesprochen wird, sondern auch die Herangehensweise an  ethnopolitische Konflikte, Fragen des Nationalismus und der Religion, über die hitzige Debatten stattfanden.

Wir horchten auf und nahmen von der Gesellschaft Impulse entgegen, setzen aber darüber hinaus auch selbst Schwerpunkte. Schon seit einigen Jahren finden Diskussionen nicht nur in Tbilissi, sondern auch in Regionen von Georgien und auch in Jerewan statt. Regelmäßig veranstalten wir Diskussionen in Batumi und Kutaissi, die genauso qualifiziert und interessant verlaufen. Auch dort haben die Bürger das Bedürfnis, eine inhaltsreiche Diskussion zu hören und selbst an den Debatten teilzunehmen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat schon lange ein Stipendienprogramm für junge Wissenschaftler. Forschungen, also Arbeiten, die im Rahmen dieses Projekts geschrieben sind, sind für die breite Öffentlichkeit durch Ihre Webseite zugänglich. Welche Forschungen sind für Sie am wichtigsten?

Das regionale Stipendienprogramm der Heinrich-Böll-Stiftung ist einzigartig – jungen Forschern und Forscherinnen, die im Bereich der Sozialwissenschaften arbeiten, geben wir eine Gelegenheit, die Fragen zu untersuchen, die für sie interessant sind. Dafür vergeben wir einjährige Stipendien für Georgien, Aserbaidschan und Armenien. Die Heinrich-Böll-Stiftung finanziert nicht nur theoretische Forschungen, die Thematik muss auch für die Öffentlichkeit aktuell und interessant sein. Darüber hinaus ist das ein Ausbildungs- und Netzwerkprogramm, das georgische, armenische und aserbaidschanische Wissenschaftler miteinander verbindet. Wir pflegen keine Illusionen, dass unsere Stipendiaten neue politische Tendenzen schaffen werden und zur Überwindung von zwischen den Ländern bestehenden Konflikte einen wesentlichen Beitrag leisten können, aber das Vertrauen, das unter jungen Wissenschaftlern entsteht, ist tief und aussichtsreich.

Ich würde ein Buch nennen, das 2008 von unseren Alumni verfaßt worden ist. Sergei Rumjantsev, Arsen Hakobyan und Sevil Husseinova haben ein einzigartiges Phänomen untersucht, das dem Konflikt von Bergkarabach vorausgegangen war:  Menschen in einem Dorf in Aserbaidschan, das von ethnischen Armeniern besiedelt war und Menschen in einem aserbaidschanischen Dorf in Armenien haben ihre Heimstätte ausgetauscht, weil die Menschen dort verstanden, dass sie an ihren damaligen Wohnorten nicht mehr bleiben konnten. Sie haben sich auf bestimmte Bedingungen geeinigt, wie z. B. Pflege der Gräber und religiösen Bauten und haben sich wechselseitig Techniken der Viehzucht und des Weinbaus beigebracht. Auch nach ihrer Umsiedlung haben Sie die Kontakte zueinander nicht verloren, weil der einmal geschlossene bürgerliche Vertrag von keiner der Parteien gebrochen wurde. Dieses Phänomen einer bürgerlichen Initiative, die ohne jegliche staatliche Unterstützung stattgefunden hat,  ist äußerst interessant. Gerade diese Tatsache haben die aserbaidschanischen und armenischen Wissenschaftler dokumentiert. Das Buch wurde zuerst auf Russisch verlegt, aber im vergangenen Jahr haben wir es wegen einer großen Nachfrage auch ins Englische übersetzt. Über diese Geschichte wurde sogar ein Dokumentarfilm gedreht.

Im Rahmen des Stipendienprogramms werden interessante Arbeiten geschaffen, als ein Beispiel würde ich eine Forschung zur homosexuellen Subkultur in Tbilissi nennen, die 2009 von Shorena Gabunia geschrieben wurde. Tamta Melaschvili, eine nicht nur in Georgien, sondern auch in Deutschland bekannte Schriftstellerin, war unsere Stipendiatin und  schrieb 2009 eine Studie über Folgen der Arbeitsmigration von Frauen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung steht den Grünen nahe. Wie arbeitet die Stiftung in dieser Richtung? Heute sind in Georgien die Fragen des Umweltschutzes besonders aktuell, aber die Grünen sind heute im Unterschied zu den 1990er Jahren im politischen Spektrum Georgiens nicht zahlreich vertreten.

Ich kann zwei Projekte nennen, an denen wir im Moment arbeiten. Eine der stärksten sozialen Bewegungen in Georgien Ende der 1990-er Jahre war neben der Nationalen Befreiungsbewegung und Bewegung zum Schutz der Kulturerbe gerade die Bewegung der Grünen. Es ist symbolhaft, dass diese Bewegung auch heute mit Aktionen gegen den aktuellen Bau des Wasserkraftwerks in Khudoni  angefangen und gestaltet wurde. Nach mehr als 20 Jahren steht die georgische Gesellschaft vor dem gleichen Problem – sie kann nicht entscheiden, nach welchen Prioritäten sie ihre politische und wirtschaftliche Richtung bestimmen soll. Der Streit darüber, was besser ist – Eier heute oder Küken morgen -  ist bis heute aktuell.

Aktuell schon, aber von der Gesellschaft wird diese Frage anscheinend nicht mehr so scharf wahrgenommen wie es in 1980-1990er Jahren der Fall war?

In 1990er Jahren war die Grüne Partei eine gewichtige Macht, die leider ziemlich schnell zum Kern der „Bürgerunion“ von Eduard Schevardnadze wurde. Diese Entscheidung von Surab Jvania und seinen Kollegen war für viele Grüne von damals unverständlich. Frühere Grüne verteilten sich damals in unterschiedlichen Bereichen: manche gingen in die Politik, manche – in Nichtregierungsorganisationen. Wenn wir das heutige politische Establishment ansehen, werden wir merken, dass diese Menschen heute noch viele Fragen bestimmen. Aber die Umweltfragen sind in Vergessenheit geraten, in erster Linie von Surab Jvania, obwohl er bei der Gründung der neuen politischen Partei der Gesellschaft versprochen hat, dass die Umweltthemen sowie Fragen der nachhaltigen Entwicklung vorrangig sein würden.

Um festzustellen, was passiert ist, durch welche Prozesse die Grüne Bewegung in Georgien gegangen ist, haben wir eine fundamentale und große Studie geplant. Wir haben die Archive der Grünen Partei und Grünen Bewegung untersucht und systematisiert. Auf Grund dieser Archive, Dokumente und Interviews wird eine Arbeit geschrieben, die die 20-jährige politische Geschichte Georgiens analysieren wird. Ende Juni werden die vorläufigen Ergebnisse der Forschung im Parlament präsentiert und am Jahresende wird auch ein Buch erscheinen. Ich glaube, das wird ein großer  „Anstoß“  für die gesamte Politik in Georgien sein.

Ein weiteres Beispiel unserer Tätigkeit ist ein Ausbildungsprogramm, das wir gemeinsam mit unserer Partnerorganisation „Grüne Alternative“ erarbeiten. Wir haben ein Memorandum mit NIMD (Netherlands Institute for Multiparty Democracy) geschlossen und das Programm wird in NIMD-s Lernzentren in Gori, Telavi und Batumi umgesetzt.

Die Heinrich-Böll-Stiftung führt unter anderem auch eine  Verlagstätigkeit durch. Die von Ihrer Stiftung verlegten Bücher unterscheiden sich von der Literatur, die von anderen öffentlichen Organisationen und Stiftungen produziert werden gerade durch Themenvielfalt und der Orientierung an einem breiteren Leserkreis.

Für die Stiftung sind die Publikationen ein Bildungsinstrument. Ein Buch ist  einer der besten  Mittel zur Vermittlung von Wissen und ein  effizientes Instrument bei der  Verbreitung von  Bildung. Außerdem ist die Betreuung unserer Publikationsreihe für mich persönlich ein Hobby, ich bin zuversichtlich, dass wir mit den Büchern auch die Bürger erreichen können, die für uns nicht unmittelbar zugänglich sind. 

Übrigens, wurde in diesem Jahr unser Stand zum ersten Mal auf der Tbilisser Internationalen Buchmesse präsentiert. Unsere Ausgaben werden auch in Buchhandlungen verkauft. Man kauft unsere Bücher und das ist für uns eine sehr angenehme Feststellung. Dieses Experiment ist gut geraten. Die Gesellschaft interessiert sich für Themen, an denen wir arbeiten. Das ist ein Anreiz für uns.

Als jüngste Beispiel hierfür kann ich das in der letzten Zeit verlegte Album von Guram Tsibachaschvili „Spiel mit Denkmälern: Stalin hier und jetzt“ und das in Zusammenarbeit mit der Carnegie Foundation verlegte Buch „Stalins Puzzle“ nennen, beide Veröffentlichungen versuchen zu erklären, warum in Georgien Stalin und generell das sowjetische Regime bis heute nicht kritisch bewertet worden sind.

Wie müssen in Georgien eine Stärkung der gesellschaftlichen Bewegungen und eine Diversifizierung des politischen und sozialen Raumes erfolgen?

Selbstverständlich kann niemand und auch die Heinrich-Böll-Stiftung irgendwelche feste Formel anbieten. Ich glaube, dass neue Handlungsräume durch Verbreitung der Bildung und durch Erfahrungsaustausch geschaffen werden müssen. Menschen, die sich ihrer eigenen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft bewusst sind, haben auch den Wunsch und das Bedürfnis, an einem Öffentlichen Gut beteiligt zu sein. Die Heinrich-Böll-Stiftung will den Menschen überall und auch in den Ländern des südlichen Kaukasus bei der Bewusstmachung helfen, ein solches Öffentliches Gut  mit zu gestalten.

Related links:

- South Caucasus on the Crossroads: 10 Years of Heinrich Boell Foundation in the Region
- Heinrich-Böll-Stiftung – 10 Jahre im Südlichen Kaukasus - Netgazeti