Die Qual der Wahl im Südkaukasus

October 8, 2013

Am 9. und 27. Oktober stehen im Südkaukasus Wahlen an. In Aserbaidschan und Georgien wird zu den Urnen gerufen. Gewählt wird in beiden Fällen das Staatsoberhaupt - in Georgien muss Präsident Saakaschwili nach neun Jahren sein Amt aufgeben, in Aserbaidschan will sich Ilham Aliev Legitimation für eine dritte Amtszeit verschaffen. Während in Georgien ein halbwegs spannender Wahlkampf zu erwarten ist, wird sich die Opposition in Aserbaidschan auf den Prozess und nicht auf das Ergebnis der Wahl konzentrieren. Im Hinblick auf Verfassungsänderungen und politisches Tauziehen in beiden Ländern bieten wir eine kurze Vorschau auf die Präsidentschaftswahlen an.

Tiflis: Viele Kandidat/innen, wenig Wahlkampfthemen

Es ist soweit. Der amtierende Präsident Georgiens Micheil Saakaschwili muss sein Amt nach neun Jahren aufgeben und darf nicht zur Wiederwahl antreten. An Anwärtern fürs seine Nachfolge fehlt es  nicht: Über fünfzig Interessentinnen und Interessenten reichten ihre Kandidatur ein, dreiundzwanzig wurden zur Wahl zugelassen. Offenbar halten sich viele für qualifiziert genug, um das Präsidentenamt zu übernehmen - angesichts des Wahlkampfniveaus ist dies kaum verwunderlich. Inhalte sind zweitrangig, politische und sachliche Debatten finden kaum statt - der Wahlkampf dreht sich hauptsächlich um Sympathien, Anschuldigungen und abstrakte Versprechen. Giorgi Margwelaschwili, Kandidat der Regierungskoalition, hat sich wenige Wochen vor der Wahl mit Priestern bei Taufzeremonien gezeigt, Saakaschwili neigt beim Werben für seine Partei zum Spektakulären und bestieg den 5.000 Meter-hohen Kazbegi-Gipfel. Mit fairen und unfairen Mitteln wird die ohnehin polarisierte politische Landschaft rhetorisch zugespitzt, das gegnerische Lager soll gezielt diskreditiert werden.

Für viele war die demokratische Machtübergabe an die Koalition „Georgischer Traum“ (KO) – ein Zusammenschluss aus insgesamt sechs Parteien mit teilweise stark widersprüchlichen Ideologien  - nach den georgischen Parlamentswahlen im Oktober 2012 eine angenehme Überraschung. Trotz Verstößen und Unregelmäßigkeiten sowie einer stark polarisierten Medienlandschaft wurden die Parlamentswahlen insgesamt positiv bewertet. Damit hatte sich Präsident Saakaschwili seinen bröckelnden Ruf im Westen zwar vorerst bewahrt. Die georgische Bevölkerung hingegen wird die autoritären Züge seiner Regierung nicht so schnell vergessen: Seit Monaten laufen parallel Gerichtsprozesse gegen mehrere seiner hochrangigen Verbündeten wegen Amtsmissbrauch. Zu den prominenten Angeklagten gehören der ehemalige Innenminister Vano Merabischwili sowie der Ex-Verteidigungsminister Batschana Achalaia. Selbst wenn sich die Anschuldigungen gegen sie nicht bewahrheiten sollten, macht Saakaschwilis Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ (UNM) zurzeit vor allem negative Schlagzeilen.

2010 wurden unter Saakaschwili wesentliche Verfassungsänderungen vorgenommen: Zum Ende seiner Amtszeit wird das Präsidentenamt zugunsten des Ministerpräsidentenpostens stark eingeschränkt werden. Die Verfassungsänderungen von 2010 werden nach der Inauguration des neuen Präsidenten in Kraft treten. Als Inhaber des höchsten Amts ist der Präsident zwar weiterhin Oberbefehlshaber des Militärs. Einen Großteil seiner exekutiven und legislativen Macht muss er aber an den Ministerpräsidenten abtreten, Georgien wird somit zu einer parlamentarischen Demokratie. Insofern sind die Präsidentschaftswahlen rein formell von geringerer Bedeutung als die Parlamentswahlen 2012.

Der  angekündigte Rücktritt des Ministerpräsidenten und derzeitigen „starken Mannes“ Georgiens, Bidsina Iwanischwili, der sich noch in diesem Jahr aus der Politik zurückziehen will, verleiht aber auch der Besetzung dieses „abgeschwächten“ Präsidentenpostens hohe Relevanz. Iwanischwilis Abschied von der Politik könnte die „Georgischer Traum“-Koalition auseinanderbrechen lassen. Iwanischwili hatte die Koalition bisher finanziell und politisch getragen. Die Präsidentschaftswahl wird viel darüber aussagen, ob sein politisches Vermächtnis auf die Dauer funktionieren wird, und ob sich die demokratische Tendenz im Land fortsetzt.

Saakaschwilis mögliche Nachfolger/innen

Trotz der scheinbar unübersichtlichen Menge an Interessentinnen und Interessenten gilt Giorgi Margwelaschwili, 44, als Top-Kandidat für das Präsidentenamt. Eigentlich ist der Philosoph und ehemalige Hochschulpolitiker nicht besonders populär. Der bis vor kurzem nur am Rande des politischen Establishments aktive Rektor des Georgian Institute of Public Affairs (GIPA) war vor den Parlamentswahlen sogar kaum bekannt. Als Bildungsminister - ein Amt, welches er wegen seiner Kandidatur nur neun Monate bekleidete - ist er hingegen eher negativ aufgefallen. Im März entzog sein Ministerium der Tbilisser Agraruniversität ihre Lizenz; eine Entscheidung, die infolge heftiger Kritik nach nur zwei Wochen auf öffentlichen Druck hin revidiert werden musste. Zahlreiche Beobachter sahen in dem Lizenzentzug einen politisch motivierten Schritt gegen Kakha Bendukidse, den Vorsitzenden des universitären Aufsichtsrats, der unter Saakaschwili als Wirtschaftsminister fungierte und zu dessen engen Verbündeten zählt. Auch Margewalischwilis Kritik an sozialen Verbesserungen des Arbeitsrechts hat in der Bevölkerung wenig Anklang gefunden.

Als Kandidat der Regierungskoalition ist der parteilose und politisch unerfahrene Margwelaschwili nicht unabhängig, sondern lebt politisch von der Unterstützung des Premierministers Iwanischwili. Letzterer hat den Kandidaten als engen Freund und Verbündeten bezeichnet.  Viele Ökonomen wünschen sich seit längerer Zeit den Sieg der Koalition bei den Präsidentschaftswahlen und damit das Ende der Kohabitation, einem monatelangen machtpolitischen Tauziehen zwischen den beiden verfeindeten politischen Lagern des Premierministers Iwanischwili und des Präsidenten Saakaschwili. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht politische Instabilität neben dem Fehlen an Transparenz im Regierungsprogramm als Hauptgrund für Georgiens schrumpfendes Wirtschaftswachstum.

Das Umschwenken von Wirtschaftsexperten zur Regierung ist für die Vereinte Nationalen Bewegung (UNM) von Präsident Micheil Saakaschwili zweifach bitter, da das stockende Wirtschaftswachstum bisher ein Hauptkritikpunkt von Saakaschwili an Iwanischwilis Regierung war. Die UNM schickt mit David Bakradse einen Parteiveteranen ins Rennen, der mit Erfahrung punktet (er war unter Saakaschwili 2008 kurz Außenminister, von 2008 bis 2012 dann Parlamentssprecher) und einen für die UNM vergleichsweise guten Ruf hat: Anders als viele seiner hochrangigen Parteigenossen musste sich David Bakradse bis jetzt keiner Anklage wegen Machtmissbrauchs und Ähnlichem stellen. Ob Bakradse bei den Wahlen im Oktober realistische Chancen hat, ist allerdings fragwürdig. Die UNM liegt bei Umfragen deutlich hinter der KO, hierbei hat sich im Laufe von Kohabitation und Wahlkampf wenig geändert. Bakradse, der keine außerordentliche Popularität besitzt, darf hauptsächlich auf die Stimmen von UNM-Sympathisanten hoffen.

Ebenfalls erwähnenswert ist die Kandidatur Nino Burdschanadses („Demokratische Bewegung - Vereintes Georgien“). Die ehemalige Parlamentssprecherin (2004-2008) und Verbündete von Micheil Saakaschwili hat sich 2008 von seiner Regierung distanziert und ist zu einer der lautstärksten Gegner der UNM geworden. Burdschanadses langjährige politische Vergangenheit mit der UNM und ihre gleichermaßen unpopuläre Nähe zu Russland könnten sie aber wertvolle Stimmen kosten. Im Wahlkampf wirbt Burdschanadse für eine Wiederherstellung der Gerechtigkeit; ein Ziel, auf das sich auch Margwelaschwili gerne beruft. Burdschanadse fiel  außerdem durch homophobe Äußerungen auf, ähnlich wie der Präsidentschaftskandidat Giorgi Targamadse von Christ-Demokratischen Bewegung, der den Kampf gegen Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen zu einem seiner Hauptthemen gemacht hat. Solche für die Wählerschaft zweitrangigen Wahlkampfakzente sind typisch für das georgische Präsidentschaftsrennen. Laut Umfragen sind für georgische Bürgerinnen und Bürger vor allem ökonomische Fragen von Interesse, mindestens ein Viertel der Bevölkerung ist Schätzungen zufolge unbeschäftigt.

Lauwarmes Wahlklima in Georgien

Anders als in den Vorjahren ist es im Rahmen des Wahlkampfs nur vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. Aufgetreten sind jedoch bislang Verstöße wie Wählereinschüchterung und der Missbrauch staatlicher Mittel und Mechanismen für Wahlzwecke durch Machthaber -  wenn auch in geringerem Maße als zuvor. Für Aufruhr sorgte außerdem der unerwartete Rücktritt des Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission (CEC) Giorgi Charatischwili wenige Wochen vor der Wahl. Charatischwili hat die Gründung eines neuen oppositionellen Blocks angekündigt, und seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen eingereicht. Die Ernennung von Tamar Schwania als neue Vorsitzende der CEC wurde jedoch von beiden politischen Lagern begrüßt. Die ehemalige Wahlbeobachterin ist mit mehreren NGOs affiliiert.

Die georgischen Medien haben sich Anfang September auf einen Kodex geeinigt, der die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Berichterstattung gewährleisten soll. Dies war in den vergangen Jahren nicht der Fall. Die Einigung umfasst außerdem ein umfassendes Medien-Monitoring. Ministerpräsident Iwanischwili hatte den durch ihn finanzierten Fernsehsender „Neunter Kanal“  vor wenigen Wochen „wegen hoher Kosten“ schließen lassen, einige oppositionelle Medienvertreter/innen haben Einschüchterung von Seiten seiner Regierung gemeldet. Insgesamt ist in der Medienlandschaft dennoch ein leicht positiver Trend im Vergleich zu den Vorjahren zu verzeichnen. Dies bestätigen EU-Berichte und NGO-Berichte.

Baku: Schauspiel mit nur einem Protagonisten

In Aserbaidschan wird es kaum Raum für grundsätzliche politische Veränderungen geben. Präsident Ilham Aliev kontrolliert praktisch alle Bereiche des öffentlichen Lebens: Seine Partei „Neues Aserbaidschan“ (YAP) verfügt über ein politisches Monopol auf allen Staatsebenen, wichtige Posten in der Wirtschaft sind mit Verbündeten und Verwandten besetzt. Im Vorfeld der Wahl ist der Ausblick düster, Veränderungen im politischen Raum sind fast nur zum Schlechten hin zu beobachten. Grundfreiheiten werden mit den Füßen getreten, Regierungskritiker landen regelmäßig hinter Gittern. Der Ausschluss der zwei oppositionellen Top-Kandidaten Rustam Ibrahimbekov und Ilgar Mammadov durch die Wahlkommission beraubt die Wahl endgültig jeden Anscheins politischer Legitimität. Damit würde er das Präsidentenamt bereits zum dritten Mal übernehmen, die Verfassung schränkt Amtszeit des Präsidenten nicht ein. Angesichts der schlechten Aussichten wird die Opposition darauf abzielen, die Illegitimität von Alievs Regierung aufzudecken.

Rein konstitutionell gesehen ist die Wahl in Aserbaidschan eigentlich interessanter als die in Georgien: Die aserbaidschanische Verfassung diktiert ein präsidentielles Regierungssystem; das Staatsoberhaupt besitzt weitläufige Vollmachten, die nicht ohne weiteres vom Parlament beschränkt werden können. Im Falle Aserbaidschans gibt es allerdings nur einen realen Kandidaten für das Präsidentenamt: Den amtierenden Amtsinhaber Ilham Aliev. Seine Kontrolle über öffentliches Leben, Medien, Wirtschaft und den Staat ist so umfassend, dass oppositionellen Kandidatinnen und Kandidaten kaum Luft zum Atmen bleibt. Ähnlich wie in Russland haben „Scheinwahlen“ seit Jahren die Funktion, der autoritären Macht des regierenden Klans einen Schein von demokratischer Legitimation zu verleihen.

Die internationalen Verbündeten Aserbaidschans stehen dennoch hinter Alievs Kandidatur: Selbst der EU wird fehlende Klarheit gegenüber dem aserbaidschanischen Regime vorgeworfen – wirtschaftliche Erwägungen scheinen im Umgang mit dem autoritären Aliev eine zentrale Rolle zu spielen. Im August hat sich unerwarteter Weise auch der armenische Präsident Sersch Sargsjan für einen Sieg Alievs ausgesprochen, weil dieser eine Entspannung der armenischen-aserbaidschanischen Beziehungen ermöglichen würde. Armeniens Präsident wurde erst im Februar dieses Jahres nach umstrittenen Wahlen in seinem Amt bestätigt.

Trotz oder wegen dieser Ausgangssituation sind Wahlen in Aserbaidschan regelmäßig mit dem Ansteigen politischer Spannungen und Verschlechterungen der Menschenrechtssituation verbunden. Im November 2012 wurden die Maximalstrafen für die Teilnahme an „illegalen“ Demonstrationen erhöht, im Mai dieses Jahres folgte ein umstrittenes Gesetz, welches angeblich Cybermobbing vorbeugen soll. Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind laut Human Rights Watch in den letzten achtzehn Monaten weiter eingeschränkt worden. Zahlreiche Oppositionelle, kritische Journalistinnen und Journalisten und sonstige Regierungsgegnerinnen und -gegner sitzen mit fragwürdigen Anschuldigungen hinter Gittern, gewaltsame Übergriffe sind häufig.

Die unsichtbare Alternative

Der interparteiliche „Nationale Kongress“ der Opposition hatte sich auf eine Kandidatur des international renommierten Drehbuchautoren Rustam Ibrahimbekov geeinigt, der sich selbst als politischen Neuling bezeichnete. Letztendlich wurde aber auch dieser „weiche“ Kandidat von der aserbaidschanische Zentralen Wahlkommission nicht zur Wahl zugelassen . Als Grund wurden seine doppelte Staatsbürgerschaft (aserbaidschanisch-russisch) und sein russischer Wohnsitz angegeben. Mit der erzwungenen Ernennung eines Alternativkandidaten - Kamil Hasanli, Historiker und ehemaliger oppositioneller Abgeordneter - sind die Chancen der Opposition auf die Mobilisierung größerer Wählerschichten noch weiter gesunken. Ebenfalls abgelehnt wurde die Kandidatur von Ilgar Mammadov (Republikanische Alternative), der neben Ibrahimbekov wohl die besten Mobilisierungschancen gehabt hätte, sich aber seit mehreren Monaten wegen zweifelhafter Anschuldigungen im Gefängnis befindet. Insgesamt wurden zehn Kandidaten zugelassen, darunter keine einzige Frau.

Die Aussichten für demokratische Veränderung in Aserbaidschan werden durch die bevorstehenden Wahlen nicht besser.