Die Olympischen Spiele in Sotschi – ein "Game Changer" für den Südkaukasus?

Die Olympischen Ringe vor der Bolshoy Arena in Sotschi
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Die Olympischen Ringe vor der Bolshoy Arena in Sotschi

Die Olympischen Spiele in Sotschi haben ein mehr oder weniger friedliches Ende gefunden. Seit der Eröffnungszeremonie am Freitag, den 07. Februar 2014 hatte sich der öffentliche Diskurs in den westlichen Medien gewandelt. Die Kritik wurde leiser, der Sport rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Anders in Georgien, wo die Bevölkerung begonnen hat, die Austragung olympischer Spiele, welche mit dem olympischen Waffenstillstand eigentlich zum Frieden beitragen sollen, assoziativ mit russischer Aggression zu verbinden. Am 08.08.2008 begann am Tag der Eröffnung der Sommerspiele in Peking der Fünftagekrieg um Südossetien zwischen Georgien und Russland. Die Winterspiele in Sotschi wurden im Kontext der bürgerkriegsähnlichen Zustände in der Ukraine betrachtet, zu denen Russland seinen Beitrag geleistet hat. Bei der Eröffnungszeremonie der diesjährigen Winterspiele waren die abtrünnigen und von Russland unterstützten georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien auf dem Satellitenbild Georgiens, das auf eine Videoleinwand projiziert wurde, von Wolken bedeckt. Dass dies von vielen Georgiern als Provokation aufgefasst wurde, zeigt, wie stark politisiert und emotional beladen die Beziehungen zwischen Georgien und Russland immer noch sind.

Dass es bei den Spielen zu keinen größeren Zwischenfällen bzw. terroristischen Anschlägen kam, ist eine wahre Erleichterung, denn der Nordkaukasus ist noch immer höchst unsicheres Terrain. Mit Putins Sieg im zweiten Tschetschenienkrieg und der Beendigung der sogenannten Anti-Terror-Aktivitäten 2009 wird oft suggeriert, dass Russland die Kontrolle über den Nordkaukasus wiedererlangt hat. Zehntausende waren seit dem Zerfall der Sowjetunion aufgrund ethnopolitischer Konflikte ums Leben gekommen. Und die bewaffneten Zusammenstöße dauern an, nicht nur in Tschetschenien, sondern auch in Dagestan, Kabardino-Balkarien und den anderen Nordkaukasus-Republiken. 2013 sind bei den Auseinandersetzungen laut dem Kavkazski Uzel (Kaukasischer Knoten) 986 Menschen zu körperlichem Schaden gekommen, 529 Tote wurden verzeichnet. Mit der Austragung friedlicher Olympischer Spiele in Sotschi wollte Putin ein ganz besonderes Zeichen dafür setzen, dass das Land in der Lage ist, Sicherheit in der Region zu gewährleisten; nach viel internationaler Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen und Russlands Rolle im aktuellen Ukraine-Konflikt scheint Putin so nun die Lorbeeren für sein Prestigeprojekt einzufahren.

Russland – nicht nur im Nordkaukasus ein wichtiger Player

In der Debatte um die Olympischen Spiele wurde oft außer Acht gelassen, dass Russland nicht nur im Nord-, sondern auch in den Angelegenheiten der unabhängigen Südkaukasus-Staaten stark involviert ist. Russland unterstützt militärisch, finanziell und politisch die abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien, besonders seit dem Fünf-Tage-Krieg mit Georgien im 2008. Russland fungiert traditionell als Sicherheitsgarant für Armenien, versorgt seit letztem Jahr aber auch Aserbaidschan mit Waffen, was die Spannungen um den Bergkarabach-Konflikt nur weiter angeheizt hat. Zudem versucht Russland mit dem Projekt der Eurasischen Union nun wieder massiv die regionale Integration des postsowjetischen Raumes voranzutreiben. Armenien hat sich bereits dazu entschlossen, den Beitritt zur Zollunion Russlands, Kasachstans und Belarus dem Assoziierungsabkommen mit der EU vorzuziehen. Welchen Einfluss haben die Spiele auf die Beziehungen Russlands zu den Südkaukasus-Staaten, und wie werden sie sich nach den Spielen entwickeln?

Russland und Georgien – weiterhin (Ent-)Spannung?

Die Beziehungen zwischen Moskau und Tiflis haben sich seit den georgischen Parlamentswahlen 2012 etwas entspannt. Während der ehemalige georgische Präsident Mikhail Saakashvili, im Amt bis 2013, nach dem Krieg 2008 einen Boykott der Spiele gefordert hatte, zeigten die neue Regierung und der neue Präsident Georgi Margwelaschwili sich versöhnlicher. So nehmen georgische Athlet/innen an den Spielen teil, Regierungsvertreter/innen sind allerdings nicht vor Ort. Während der Spiele verkündete Putin in einem Interview, dass er bereit sei, den georgischen Präsidenten zu treffen, sofern dieser das wünsche. Auch wenn die Ernsthaftigkeit dieser Aussage noch nicht abzuschätzen ist, wäre ein solches Statement bis vor kurzem undenkbar gewesen. Ende Dezember wurde in Russland bereits darüber nachgedacht, die Visumspflicht für Georgier wieder abzuschaffen. Auf der anderen Seite kam es seit Frühjahr 2013 immer wieder zu weiteren Provokationen, als Russland begann, verstärkt Zäune und andere physische Barrieren an den sogenannten internen Verwaltungsgrenzen Abchasiens und Südossetiens, wohlgemerkt auf georgischem Gebiet, zu errichten. Dieser Schritt hat dazu beigetragen, dass das Vertrauen gegenüber Russland in Georgien nach wie vor extrem niedrig ist.

Russlands aktuelles Muskelspiel in der Ukraine hat bei vielen für zusätzlichen Unmut gesorgt; in Tiflis kam es zu Solidaritätskundgebungen für die Protestierenden in Kiew mit mehreren hundert Teilnehmern. Aufgrund des Paraphierens des Assoziierungsabkommens mit der EU im November 2013 und der für August 2014 geplanten Unterzeichnung erwartet man in Georgien mit dem Ende der Spiele neuen Druck aus Moskau. Laut Ivlian Haindrava, einem georgischen Politikwissenschaftler, der für das Republican Institute in Tiflis arbeitet, sind verschiedene Schikanen denkbar, um Georgien in letzter Minute doch noch von der Unterzeichnung abzuhalten: wirtschaftliche Sanktionen mit Einfuhrverboten, wie sie es seit 2006 bereits zahlreich gegeben hat; Maßnahmen gegen georgische Arbeitsmigranten in Russland; eine Blockierung der Genfer Friedensgespräche; weiteres Errichten von Zäunen und Annexion von Gebieten; Störung des georgischen Elektrizitätssektors, in dem russische Firmen aktiv sind; und das Anheizen von sozialen und ethnischen Unruhen. Während all diese Szenarien im Bereich des Möglichen liegen, sind sie, unter Einbeziehung der Kosten, für Russland dennoch keine besonders aussichtsvollen Optionen. Eine andere, erfolgversprechendere aber langfristigere Möglichkeit für Russland, Einfluss auszuüben, sieht Haindrava über die Beziehungen zwischen der russischen und der georgischen orthodoxen Kirche, die beide verstärkt anti-westliche Ressentiments schüren. Ein Besuch des Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Kyril wird in Georgien im März erwartet.

Abchasien – ein Zaungast beim Fest des Sports

In Abchasien war man den Olympischen Spielen im nur vierzig Kilometer entfernten Sotschi gegenüber von Anfang an optimistisch eingestellt. Russland versprach, den Flughafen in Sukhumi für die Spiele ausbauen zu wollen; die Wiederaufnahme der transkaukasischen Bahnverbindung über Abchasien nach Armenien wird ebenfalls seit Jahren diskutiert. Außerdem sollte Abchasien vom Export von Baumaterial für die Sportstätten profitieren. Schlussendlich allerdings wurde der Flughafen nicht ausgebaut, bei der Bahnstrecke gibt es bisher ebenfalls keine Fortschritte. Auch die abchasischen Exporte fielen eher moderat aus, wie Akhra Smyr, freier Journalist aus Sukhumi berichtet. Abchasien hat bei den Spielen in Sotschi gewissermaßen die Rolle eines Zaungasts, der nicht hereingelassen wird, angenommen: obwohl von Russland als Staat anerkannt, dürfen seine Sportler/innen nicht an den Spielen teilnehmen. Auch das Reisen von Russland nach Abchasien wurde mit Sicherheitsauflagen im Vorfeld erschwert, sodass sich die abchasischen Hoffnungen auf neue Touristen schnell in Luft auflösten. Sowohl in Abchasien als auch in Russland sind kürzlich mehr und mehr Stimmen gegen das extensive russische „Engagement“ in der abtrünnigen Republik laut geworden. Aufgrund des Mangels an Alternativen ist dennoch zu erwarten, dass der bisherige Kurs nach den Spielen fortgeführt wird.

Armenien und Aserbaidschan – verschiedenartiges Heranrücken an Russland

Der Einfluss der Spiele auf die Beziehungen zwischen Russland, Armenien und Aserbaidschan kann als eher gering eingeschätzt werden. Dennoch haben sich im letzten Jahr einige Veränderungen ergeben, die nicht unerwähnt bleiben sollen. Vor allem Armenien ist politisch und wirtschaftlich näher an Russland herangerückt. Mit seiner Entscheidung, der Zollunion Russlands, Belarus und Kasachstans beizutreten, wandte Armenien sich zumindest teilweise von dem EU-Integrationsprozess ab, auch wenn die Regierung dies bisher verneint. Armenien verkaufte außerdem die letzten Anteile seines nationalen Gasversorgers an Gazprom und wird so bis mindestens 2043 zu 100 Prozent von letzterem abhängig sein. Während Russland nach wie vor als armenischer Sicherheitsgarant in der Region fungiert, hat es nun auch begonnen, Aserbaidschan mit Waffen zu versorgen. Armenien und Aserbaidschan befinden sich seit Jahrzehnten im Konflikt um die Region Bergkarabach. Russland und Aserbaidschan wollen außerdem verstärkt in Sicherheitsfragen kooperieren, da Aserbaidschan besorgt ist, dass radikaler Islamismus aus dem Nordkaukasus über die Grenze „schwappen“ könnte, wie Sergey Markedonov, unabhängiger politischer Analyst aus Moskau, berichtet. Während es bei Armenien wohl die große Abhängigkeit von Russland ist, ist es bei Aserbaidschan die Unabhängigkeit, die dazu führte, dass Russland sich in seinen Beziehungen zu den beiden Staaten keine Sorgen um erhöhte Spannungen vor den Olympischen Spielen machen musste. Armenien und Aserbaidschan beteuerten, den traditionellen Olympischen Waffenstillstand in Bergkarabach einzuhalten. Danach ist eine erneute Eskalation des Konflikts aufgrund des Wettrüstens im letzten Jahr allerdings nicht auszuschließen.

Russland hat es also im Vorlauf der Olympischen Spiele geschafft, seine Machtposition im Südkaukasus auszuweiten. Laut Richard Giragosian, dem Leiter des Regional Studies Center (RSC) in Jerewan, liegt dies vor allem an der wachsenden russischen ‚Soft Power‘, einer steigenden Zurückhaltung der USA und der EU bezüglich des Südkaukasus, aber auch an Russlands tatsächlichen diplomatischen Bemühungen. Die Olympischen Spiele in Sotschi werden für die Beziehungen Russlands zu den Südkaukasus-Staaten und Abchasien wohl eher kein ‚Game Changer‘ sein – mit der Ausnahme Georgiens. Sobald die Spiele vorbei sind und Russland internationale Kritik wieder weniger fürchten muss, wird es sich überlegen, wie es Georgien von der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU abhalten kann. Es gab schließlich noch keine Entwicklung im Südkaukasus, bei der Russland nicht mitgemischt hat.

Hinweis: Der Artikel basiert auf dem englischsprachigen Webdossier, dass das Regionalbüro Südkaukasus zu den Olympischen Spielen in Sotschi herausgegeben hat.