Nino Lejava beobachtet, wie sich die Fronten verhärten beim Thema Berg-Karabach. Im Interview erklärt die Leiterin des Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilisi die Rolle von Stiftungen und NGOs im Konflikt.
In der jüngsten Zeit kam es im Konflikt um Berg-Karabach immer wieder zu Toten. Auch die Sezessionskonflikte in Georgien belasten die dortige Tagespolitik. Was bedeutet das für die Lage im Südkaukasus insgesamt?
Die sicherheitspolitische Lage wirkt sich vor allem auf die einzelnen Länder selbst und die Demokratisierungsprozesse aus. In Georgien zum Beispiel ist das Feindbild Russland für die Politik so wichtig, dass innenpolitische Herausforderungen vernachlässigt werden. Das gilt für alle drei Länder im Südkaukasus. Die größten Demokratisierungsprozesse gibt es in Georgien, gefolgt von Armenien und Aserbaidschan. Beurteilt wird dies unter anderem durch die Europäische Nachbarschaftspolitik, die sehr konkrete Reformkriterien aufgestellt hat. Die Entwicklungen werden regelmäßig in sogenannten Fortschrittsberichten bewertet. Das sind konkrete Schritte wie die EU auf die Innenpolitik dieser Länder einwirkt.
Meiner Meinung nach waren die ehemaligen Sowjetrepubliken im Südkaukasus seit dem Zerfall der UdSSR noch nie so unterschiedlich ausgerichtet wie heute. Aserbaidschan schottet sich immer mehr ab, da es zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich nicht von ausländischen, insbesondere westlichen Finanzhilfen, abhängig ist. Das Land beteiligt sich formell an der Östlichen Partnerschaft, hat sich aber politisch vom Weg der Annäherung an die EU verabschiedet.
Ist es trotzdem möglich, Projekte durchzuführen, an denen sowohl Armenier als auch Aserbaidschaner teilnehmen?
Zu diesem Zeitpunkt nicht in der Region. Aber es gab über die Jahre verschiedene Projekte, die den Dialog zwischen den beiden Ländern gefördert haben, zum Beispiel gemeinsame Publikationen wie The South Caucasus and Turkey: History Lessons of the 20th Century. Das ist eine Publikation aus dem Jahr 2013 von unseren ehemaligen Stipendiaten, in der die Wahrnehmungen des jeweils anderen in den beiden Gesellschaften dargestellt werden.
Das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung im Südkaukasus existiert seit 2003. Zu diesem Zeitpunkt konnten sich alle Parteien aus den Konfliktgebieten hier treffen. Dabei geht es nicht nur um staatliche Vertreter aus Armenien und Aserbaidschan, sondern auch um Vertreter aus Abchasien und Südossetien – zivilgesellschaftliche Akteure, keine de-facto-Vertreter der Sezessionsgebiete. Damals konnten sie noch nach Georgien reisen und auch in der Öffentlichkeit auftreten. Seitdem hat sich in der Region einiges verändert – insbesondere nach dem Russisch-Georgischen Krieg 2008.
Auch beim Thema Berg-Karabach gibt es eine Verhärtung der Fronten. Besonders seit zwei Jahren eskaliert die Lage an der Frontlinie immens. Schusswechsel, Grenzübertritte von sogenannten Diversionsgruppen und Todesfälle haben stark zugenommen. Dabei ist es schwierig von genauen Zahlen zu sprechen, weil die Lage nicht sehr transparent ist und die Situation von beiden Seiten unterschiedlich dargestellt wird.
Nach welchen Kriterien entscheidet die Heinrich-Böll-Stiftung, welche Projekte realisiert werden? Spricht im Moment etwas gegen Projekte zu Berg-Karabach?
Nein, dagegen spricht natürlich nichts. Das ist auch einfach eine pragmatische Herangehensweise, die von unseren Ressourcen abhängig ist. Wir sind eine relativ kleine politische Stiftung, es gibt noch drei weitere deutsche politische Stiftungen hier (Friedrich-Ebert-Stiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Naumann Stiftung, Anm. der Red.). Wir konnten uns von Anfang an keine eigenen Büros in Armenien und Aserbaidschan leisten. Auch deswegen haben wir einige Prioritäten in Georgien und es ist uns nicht möglich, zu allen Konflikten gleichwertig Projekte anzubieten. Analytisch begleiten wir natürlich alle Regionen. Projekte in den Sezessionsgebieten zu fördern, ist eine zusätzliche finanzielle und administrative Herausforderung. Es gibt zum Beispiel keine direkten Finanztransfers aus Georgien nach Abchasien. Außerdem erschweren es die vielen Einreisebeschränkungen, in den Sezessionsgebieten geeignete Partner zu finden und Projekte durchzuführen.
Welche Rolle können Stiftungen und NGOs überhaupt in der Konfliktlösung einnehmen?
Wir bevorzugen den Begriff der Konflikttransformation oder friedlichen Konflikttransformation. Das meint, dass man eine Situation herbeiführt, in der bestehende Konflikte politisch und gesellschaftlich bearbeitet werden können. Klar ist auch, dass es nach militärischen Auseinandersetzungen eigentlich nie zu einer Status-quo-ante-Lösung, also zum ursprünglichen Zustand, kommen kann. Beide Konfliktparteien müssen Verluste hinnehmen, damit es überhaupt zu einer akzeptablen Option kommt. Unser Ansatz zielt darauf, NGOs, aber auch einzelne Personen zu unterstützen, die den Mut haben, bestimmte Dinge öffentlich auszusprechen und verhärtete Diskurse aufzubrechen.
Stiftungen können natürlich eine wichtige Rolle spielen, da sie keine staatlichen Institutionen sind und auch nicht an lokale staatliche Institutionen durch eine Partnerschaft gebunden sind. Das heißt, wir bewegen uns in einem Bereich zwischen den staatlichen Institutionen und lokalen Organisationen. Wir sind eine internationale NGO mit Zugang zu Politik und Medien im Westen. Auf diese versuchen wir auch bewusst einzuwirken. Als eine unabhängige politische Stiftung haben wir zudem die Möglichkeit, in den Sezessionsgebieten – ohne den Status in Frage zu stellen – mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenzuarbeiten. Information und Bildung sind extrem wichtig, um die verhärteten Fronten zu durchbrechen.
Unsere Arbeit hat sich zuletzt stärker auf georgisch-abchasische Dialogformate konzentriert. Das liegt zum einen natürlich an der Lage unseres Büros, zum anderen daran, dass die Chance für eine Aussöhnung zwischen Georgien und den beiden Sezessionsgebieten vor 2008 möglich erschien. Eine weitere Ursache ist, dass sich schon seit Mitte der 90er Jahre relativ stabile zivilgesellschaftliche Kommunikationskanäle entwickelt haben, die auch den Rückschlag von 2008 überdauert haben.
Seit dem Krieg hat sich die Situation stark verändert, aber der Dialog – jetzt außerhalb Georgiens – wird weitergeführt. So können wir den zivilgesellschaftlichen Akteuren in Abchasien oder Südossetien internationale Kommunikationsmöglichkeiten bieten, unter anderem auch unsere Website. So fördern wir zum Beispiel ein Medienprojekt Netgazeti, um eine unabhängige Berichterstattung zu den Sezessionsgebieten in Georgien zu ermöglichen und den Informationsfluss zu steigern.
Besonders in Russland hat sich die Situation für NGOs extrem verschärft, das Misstrauen gegen sie ist groß. Wie verhält es sich im Südkaukasus?
Ein Misstrauen gegen westlich geförderte NGOs hat es in fast allen ehemaligen Sowjetrepubliken gegeben. Dieser Schatten fällt natürlich oft auf die westlichen Stiftungen, auch teilweise aus Angst, dass die eigenen kulturellen Traditionen zerstört werden. Allerdings gibt es gerade da, wo die Zivilgesellschaft am ehesten gefördert wurde – in diesem Fall Georgien – die größten Fortschritte und die größte gesellschaftliche Unterstützung, mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Politik. In stärker autoritär regierten Ländern, wie Russland oder Aserbaidschan können Gruppen, die für eine europäische Entwicklung eintreten, weniger gefördert werden.
Welches Interesse hat die georgische Regierung an Konfliktbewältigung – speziell in Bergkarabach, wo sie beide Konfliktparteien als Partner ansieht?
Georgien hat sich immer als Vorreiter in der Region gesehen. Auch die Regierung Saakaschwili hat sich gerne als "beacon of democracy" – wie von George W. Bush bezeichnet – gesehen. Andererseits muss Georgien auch mit den geopolitischen Interessen seiner Nachbarn umgehen. Bislang war der georgische Ansatz pragmatisch. Man hat eine stärkere Partnerschaft mit Aserbaidschan angestrebt. Mit Armenien gibt es auch gute Beziehungen, die aber manchmal durch die traditionelle und kulturell-politische Rivalität der beiden Nachbarländer herausgefordert werden; auch durch die Lage der armenischen Minderheit in Georgien. Auf der anderen Seite ist die Partnerschaft mit der Türkei für Georgien von großem Interesse und die Zusammenarbeit ist fast vorbildlich. Durch die Pipeline-Politik wurde diese Aserbaidschan-Georgien-Türkei-Achse ziemlich aufgewertet. Armenien wurde dabei immer etwas außen vor gelassen und hat selbst Russland als eigenen Sicherheitsgaranten gesehen.
Georgien könnte sich aus meiner Sicht bewusster werden, dass es eine positive Rolle in der Konfliktvermittlung – wenn auch nicht unbedingt formell – spielen könnte, zum Beispiel durch ein Einwirken auf die Türkei. So könnte Georgien der Isolierung Armeniens entgegentreten. Durch eine Liberalisierung der Grenzpolitik könnte Armenien offener mit der Außenwelt kommunizieren und hätte eine stärker komplementär ausgerichtete Außenpolitik. Und das hätte mit Sicherheit auch Auswirkungen auf die Situation in Berg-Karabach. Wobei wir hier das Problem haben, dass sowohl Aserbaidschan als auch die Türkei eine Grenzöffnung von der Lösung des Berg-Karabach-Konflikts abhängig machen. Das erschwert natürlich die Bedingungen für eine Konfliktvermittlung. Man sieht derzeit keine offiziellen Bemühungen der georgischen Regierung, dem entgegenzutreten und einen Dialog bewusst zu fördern.
Wie sehen Sie die zukünftigen Chancen der Heinrich-Böll-Stiftung, auf die Konflikte im Südkaukasus einzuwirken?
Wir haben im Moment eine Phase, in der sich die innenpolitischen Verhältnisse sowohl in Armenien als auch in Aserbaidschan verhärten. Armenien hat momentan keine sehr plurale politische Situation. Die Opposition ist entmachtet und es ist fast unmöglich, neue politische Konzepte in die öffentliche Diskussion einfließen zu lassen. Seit 2009 haben wir einen Rückgang des Normalisierungsprozesses zwischen Armenien und der Türkei beobachtet. Die politische Ebene ist verhärtet, besonders in diesem Jahr des Gedenkens an den armenischen Genozid, wo die Türkei sehr sensibel auf bestimmte Themen reagiert. Allerdings ist seitdem auf der zivilgesellschaftlichen Ebene sehr viel passiert – teilweise auch mit Beteiligung der Heinrich-Böll-Stiftung. In Aserbaidschan verfolgen wir eine extreme autoritäre Verhärtung, indem der Opposition, Menschenrechtsaktivisten und unabhängigen Medien immer mehr der Zugang zur Öffentlichkeit verwehrt wird.
Diese innenpolitischen Entwicklungen wirken sich natürlich auch auf die Außenpolitik aus. Die führenden Politiker – auch aus Oppositionskreisen – sehen sich gezwungen, immer wieder auf das außenpolitische Instrument der Feindbilder zurückzugreifen, um die innenpolitische Frustration im eigenen Land auszugleichen. Diese Entwicklungen in beiden Ländern verfolge ich natürlich mit großer Sorge, insbesondere mit Blick auf die massive Aufrüstung der letzten Jahre. Ich hoffe, dass dies zu keiner dramatischen militärischen Eskalation führt, an der im Grunde beide Staaten kein Interesse haben können.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Projektarbeit der Freien Universität Berlin. Im Oktober 2014 beschlossen sechs Studierende der Osteuropawissenschaften, sich mit dem Konflikt um die Region Berg-Karabach auseinander zu setzen. Nach einer mehrmonatigen Vorbereitungsphase fuhr die Gruppe im Frühsommer 2015 nach Georgien, Aserbaidschan, Armenien und Berg-Karabach. Vor Ort und in Deutschland führten sie Interviews mit Politikwissenschaftler/innen, Flüchtlingen, Politiker/innen, Jugendlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur/innen. Weitere Beiträge und Informationen finden Sie in unserem Berg-Karabach-Dossier und auf dem Projektblog.