Bericht über die Teilnahme an der Green Academy "Connect the Struggles"

Noch ist mein Kopf voll der zahlreichen Eindrücke, die ich während der letzten zehn Tage in Georgien sammeln konnte – eine gute Gelegenheit, um diese Eindrücke darzulegen. Die Teilnahme an der Akademie war für mich alles in allem eine einzigartige Möglichkeit, in kurzer Zeit unglaublich viel über die Region zu erfahren – durch Vorträge und inhaltliche Debatten sowie in besonderem Maße durch informelle Gespräche mit den Teilnehmer*innen.

Green Academy in Bazaleti

Das Veranstaltungsprogramm fokussierte die vier Handlungsfehler Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Aktivismus und widmete jedem der Themenblöcke einen ganzen Tag. Die Beschäftigung mit politischen Entwicklungen konzentrierte sich in erster Linie auf die theoretische und praxisbezogene Reflektion von Wohlfahrtsstaaten. Als Einstieg konnten die Veranstalterinnen den renommierten Soziologen Claus Offe gewinnen, der die Charakteristika wohlfahrtsstaatlicher Arrangements nachzeichnete, darunter unter anderem die Identifikation von Armut, die Etablierung von Transferleistungen und den sozialpartnerschaftlichen Ausgleich unter Einbezug der Arbeitgeber*innen. Im Anschluss daran widmete sich ein Seminar der Übertragung von Offes analytischen Grundlagen auf Georgien, dabei erfuhr ich unter anderem, dass Georgien noch keine Arbeitslosenversicherung gewährt und keine progressive Besteuerung erfolgt. Besonders interessant fand ich die Überlegung, wie in einem Land, in dem der produktive Sektor hinter Agrar- und Dienstleistungssektor nur einen verschwindend geringen Anteil ausmacht, beispielsweise eine funktionierende Sozial-partnerschaft entstehen kann, deren Begründungsgrundlage in Westeuropa in erster Linie in den inhumanen Arbeitsbedingungen der frühen Industrialisierung zu finden ist.

 

Im Zuge der Diskussion unter den Teilnehmenden über gewünschte soziale Sicherheitsnetze trat immer wieder die Überlegung zu Tage, dass vor der Umverteilung von Ressourcen zunächst die Akkumulation von Ressourcen stünde – woran sich logisch der Themenblock Wirtschaft anschloss. Dabei wurde besonderes Augenmerk auf die Auseinandersetzung mit nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung gelegt, hierzu lieferten Jagoda Munić und Edouard Gaudot interessante Inputs zur grünen Transformation, außerdem zeigte Mamuka Makhatadze in einem Seminar die wirtschaftliche Entwicklung Georgiens im Vergleich zu anderen sogenannten Entwicklungsländern auf und stellte die präsentierten Kennzahlen zur Diskussion. Dabei gefiel mir besonders, dass die Veranstaltung Raum ließ, gegenwärtige Trends mit etablierten Methoden zu beschreiben aber zugleich die Möglichkeit zur kritischen Reflexion dieser Methoden erhalten blieb. Der anschließende Themenblock Gesellschaft wurde von Daniel Chavez, einem ursprünglich aus Uruguay stammenden und in den Niederlanden arbeiteten Sozial- und Politikwissenschaftler eröffnet; er präsentierte die Entwicklung der Linken in Lateinamerika und stellte deren Bezeichnung als Erfolgsmodell zur Disposition.

 

In den anschließenden Diskussionen wurde insbesondere die Rolle von Frauenrechten und Rechten von LGBT-Personen diskutiert und dabei die Frage aufgeworfen, ob linke Gruppierungen die feministischen Forderungen genügend in ihr Denken und Handeln einschließen und umgekehrt – eine Auseinandersetzung, die meiner Erfahrung nach auch in Deutschland ein aktuelles Sujet ist. Die hitzige Diskussion wurde anschließend im Vortrag von Tamar Tskhadadze zum Feminismus in Georgien aufgegriffen.

 

თამარ ცხადაძე

Weitere spannende Anregungen in Bezug auf die Betrachtung der Zivilgesellschaft lieferte zum Beispiel der aus Armenien stammende Davit Isajanyan, der aus konstruktivistischer Perspektive die Bedeutung von Konzepten von Sicherheit für die georgische Gesellschaft im Zeitverlauf thematisierte. Die diskutierten Spannungsverhältnisse in der Zivilgesellschaft wurden in der Abenddiskussion im Lichte des spezifischen Handlungsfelds des urbanen Raums betrachtet, dabei zeigten die Referent*innen die Bedeutung von Städteplanung, Obdachlosigkeit und dem öffentlichen Raum auf. Um ein Gegengewicht zu den thematisch anspruchsvollen Vortragselementen zu erhalten, widmete sich der nachfolgende Tag eher praktischen Handlungsformen; neben der Vorstellung der Künstlergruppe Group Bouillon gab Mareike Wenzel einen Einblick in die Methode des Forum Theaters, („Theater der Unterdrückten“), an dem ich auch in der Entwicklungsphase teilgenommen habe.

 

Im engen Dialog mit den anderen Teilnehmer*innen wurde mir in dieser Zeit besonders deutlich, wie sehr die unterschiedlichen Diskriminierungsformen die Teilnehmer*innen persönlich in ihrer Alltagswelt betreffen und wie sie damit umgehen – außerdem war die Methode eine mehr als geeignete Form, um eine besondere Gruppendynamik freizusetzen. Der letzte Tag widmete sich schließlich mit dem Themenbereich politischen Aktivismus und der Frage, wie die diskutierten Ideen verknüpft werden können. Besonders kontrovers wurde dabei auch die Rolle von NGOs in unterschiedlichen Handlungsfeldern politischer sozialer Bewegungen diskutiert.

Sehr aufschlussreich war über alle Tage hinweg für mich die kontinuierlich aufflammende Diskussion über den sogenannten „Georgian March“; eine Großdemonstration, in der nationalistische Kräfte in Tbilisi ihre Interessen zum Ausdruck gebracht hatte. Dabei konnte ich Parallelen feststellen zu der deutschen (und europäischen) Debatte über die PEGIDA-Demonstrationen, insbesondere in Bezug auf die Frage, ob diese Demonstrationen als faschistisch bzw. nazistisch bezeichnet werden können oder ob es sich dabei in erster Linie um sozial „abgehängte“ Menschen handelt. Daraus leitete sich bei beiden Bewegungen auch die Frage nach einem geeigneten Umgang ab – zwischen strikter Abgrenzung und dialogorientierter Annäherung.

 

Die Zusammensetzung der Gruppe war für mich ein entscheidender Faktor, der zum Gelingen der Akademie beigetraten hat: Mir gefiel, dass Menschen aus unterschiedlichsten Fachrichtungen und auch unterschiedlichen politischen Ansichten mitdiskutieren konnten – auch wenn manche Themengebiete sicherlich für „Einsteiger“ auf sehr hohem Niveau diskutiert wurden. Zugleich war es beeindruckend, die zahlreichen Ideen und die Leidenschaft der georgischen Aktivist*innen zu sehen, die durch ihr Handeln auf Verbesserungen ihrer Lebenswelt abzielen. In persönlichen Gesprächen konnte ich gute Bekanntschaften machen, die auch nach der Akademie erhalten bleiben werden und die mir in Ergänzung zu den inhaltlichen Diskussionen sehr persönliche Eindrücke in soziale Spannungsverhältnisse und politische Entwicklungslinien geben konnten. Die Idee des Auslandbüros, durch die Akademie in erster Linie einen Raum zu eröffnen, in dem sich die Aktivist*innen mit ähnlichen Ansichten in geschützter Atmosphäre offen persönlich austauschen können und für zukünftige Kooperationen aufstellen können, konnte meinem Eindruck nach verwirklicht werden.

Grundsätzlich hatte ich das Gefühl, dass sich in vielen Diskussionen die grundlegende Spannung politisch linker Ideen zwischen Systemkritik und Reformismus widerspiegelte – deren Aushandlung für die Handlungsfähigkeit politischer Akteure ungemein wichtig ist. Für mich persönlich hat die inhaltliche Auseinandersetzung sowie der persönliche Austausch mit den Teilnehmer*innen meine Motivation gestärkt, mich wieder selbst aktiver zu organisieren. Gerade im Zuge zahlreicher Umzüge während des Studiums hat meine feste Verankerung in sozialen Bewegungen gelitten und ich habe nur noch sporadisch zum Beispiel im Form einer Studierendenvertretung an meinem Arbeitsplatz und dem Mentoring-Programm der Universität eingebracht. Jetzt nach Beendigung meines Studiums möchte ich mich an meinem Wohnort wieder gezielt, womöglich im Bereich der Frauenrechte, engagieren. Außerdem hat die Reise mein bereits vorher großes Interesse für die Region weiter verstärkt – ich habe eine große Asymmetrie von Information zwischen Westeuropa und Georgien festgestellt: während die Teilnehmer*innen alle sehr firm waren, was politische Akteure und Debatten in Europa und der EU betrifft, wissen viele Deutsche schlichtweg überhaupt nicht, wo Georgien liegt und in vielen Köpfen blieb der Eiserne Vorhang lebendig. Die Sensibilisierung für diese Ungleichheit lässt mich darüber nachdenken, wie mehr über die Region in Schulen, Universitäten und der Zivilgesellschaft vermittelt werden kann.

 

Ich bedanke mich von ganzem Herzen für die Möglichkeit zur Teilnahme, die finanzielle Förderung durch die Heinrich-Böll-Stiftung sowie die inhaltlich und organisatorische Arbeit des Auslandsbüros.